Wippe, Flussbad, Rutsche - die Debatte über die Neugestaltung der Alten Mitte läuft mit viel Ideologie-Trara. Und dann kommen die Leute und wollen Spaß? Krass.
Berliner Zeitung vom 11.04.2021
Sollte das Flussbad am Berliner Stadtschloss kommen? Und was sagt die Hochkultur dazu? Die neueste Folge von „Brutal Berlin“ stellt sich den brisanten Fragen der Stadt.
Zwischen Berliner Schloss und Spreekanal rammen Bauarbeiter im Auftrag des Bundestages sieben dicke Stahlbetonpfähle in ein denkmalgeschüztes Gebäudes vor, um eine Großwippe zu errichten, auf der wankelmütige „Bürger in Bewegung“ schaukeln können. Skater freuen sich schon lange auf die große Schale und bedanken sich beim Vater der Pipe, Wolfgang Thierse. Gleich neben diesem Rummelplatzelement entsteht demnächst eine große Freitreppe zur Spree hinunter, wo das Volk sitzen, in die Sonne blinzeln, snacken und in den Fluss springen kann. Fehlt nur noch eine Rutsche – so eine spiralförmige Plexiglasröhre, durch die menschliche Körper gleiten und ins Wasser plumpsen. Eine Metaebene zur Aufwertung solch einer Banalskulptur ließe sich sicherlich finden. Irgendetwas mit Freiheit vielleicht.
Schlossfreiheit heißt dieser geschichtsbeladene Berliner Ort. Wer dort einst wohnte, dem hatte der König Freiheiten gewährt: Gewerbefreiheit zum Beispiel. Manche richteten schicke Läden ein, andere Schankwirtschaften mit Bierprivileg oder Cafés. Das Volk mochte dieses Ausgehviertel am Wasser. Jetzt kehrt das Amüsement wieder an die Schlossfreiheit zurück – da können Familien schaukeln, baden, chillen. Studis, Hochhauswohnis, Hotelflüchtlinge ¬– mit Badetuch und Bierchen, eher knapp bedeckt als elegant gekleidet.
Es entsteht ein Alles-durcheinander-Berlin
Den Freunden der in den Museumsinsel-Tempeln konzentrierten Hochkultur graust beim Gedanken an solche von Volksmassen beherrschten Bilder. Herrmann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, protestiert. Die Geistlichkeit des Doms schimpft ebenfalls. Die direkten Nachbarn, die im Schloss ansässigen Organisatoren des Humboldt-Forums, eines künftigen Horts von Diversität, freuen sich hingegen über Flussbad und Badetreppe. Intendant Hartmut Dorgerloh hält das Projekt für „eine sehr schöne Idee“, vor allem, weil es das Wasser der Spree verbessern soll, aber auch, weil „wir wollen, dass sich dort das einheimische und das touristische Publikum mischen“.
Junge Anarchisten jubilieren innerlich über die in der neuen Partyzone zu erwartenden Stilbrüche: Was wird das schön prollig werden zwischen Barock und Neoklassizismus. So entsteht aus unkoordiniertem Jeder-macht-Seins ein neues Stück des Alles-durcheinander-Berlin. Herrlich!
Um Berliner Stadtgeschichte wird hart gestritten
Östlich des Schlosses hingegen lauert Aggression getarnt hinter Kostümen und Anzügen. Die „Stadtwerkstatt“, vom Senat 2019 aufgelegt als Gesprächsserie für die Neugestaltung der Alten Mitte und mit eigenen Räumen in der Karl-Liebknecht-Straße ausgestattet, glitt zwischenzeitlich ins Bürgerkriegshafte: In dem einen Schützengraben lauern die Verteidiger des DDR-Bestandes – meist glückliche Mieterinnen und Mieter der backsteinverzierten Plattenbauriegel an Liebknecht- und Rathausstraße ¬–, auf der anderen Seite die Fraktion derjenigen, die tatsächlich meinen, es habe auch vor der DDR schon Geschichte gegeben.
Fast kam es zur Saalschlacht, weil das Bürgerforum Berlin e. V. zur Eröffnung der Stadtwerkstatträume auf dem Fußboden eine begehbare Karte ausgelegt hatte, die das Stadtzentrum mit seinen historischen Schichten visualisierte: also außer DDR-Repräsentationsfläche, Nachwendebauten und kommenden Projekten auch Vorkriegsgassen. Historisches Teufelszeug. Das trieb Gegner der Erinnerung derart zur Weißglut, dass sie schrien: „Die da sind gar keine Bürger!“ – jedenfalls keine mitspracheberechtigten. Die Karte rissen sie wild vom Boden.
Das Zentrum bleibt menschenleer
Corona beendete die Bürgerbegegnungen. Es war wohl auch nichts Erbauliches zu erwarten. Der Senat nutzt die Chance der erzwungenen Sprachlosigkeit, um ein paar Fakten zu schaffen: Am 21. April endet die erste Phase einer Ausschreibung für Landschaftsarchitekten zur Aufhübschung des zentralen Areals der deutschen Hauptstadt. Warum auch nicht, die verwahrloste Anlage braucht in jedem Fall etwas Pflege. Was aber mit dem centro storico des 800 Jahre alten Berlin geschehen soll, bleibt wegen der Unfähigkeit der aktiven Generationen den Nachkommen zur Entscheidung. Sollen die Jüngeren doch mit weniger ideologischem Gebrause in 30 Jahren überlegen, welche Stadt sie für ihre Kinder haben wollen. Ist besser so.
Politik hin – Bürger her: Die Innenstädte ändern sich schon jetzt sichtbar; das erledigen Digitalisierung und Corona ganz ohne Senatsverwaltung und Anwohner-Initiativen. Weil Büros, Kaufhäuser und Malls ihre Rolle in der Innenstadt in absehbarer Zeit ausgespielt haben werden, bleibt das Zentrum dann nicht nur nachts, sondern auch tagsüber menschenleer. Warum sollte man über Rathausforum oder Marx-Engels-Brache laufen? Immerhin ist viel Platz für eine Aktivität, die in Berlin immer gern betrieben wird: demonstrieren.
Der Schlossbrunnen gehört an seinen Platz am Schloss
Aber – Achtung, revolutionäre Idee – könnten in der City Ost nicht auch Leute leben? So wie zuvor jahrhundertelang? Dann womöglich in klimafreundlichen Häusern aus Holz mit bepflanzten Fassaden – bewohnte vertikale Grünanlagen gewissermaßen. Das wäre eine mögliche Zukunft für Heiliggeist- und Marienviertel. Auch Hartmut Dorgerloh findet, dass in der Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
In einer anderen, hoch emotional geführten Debatte versucht der Senat den Eindruck zu erwecken, als wäre das letzte Wort gesprochen: Es geht um den Standort des Neptunbrunnens, der eigentlich der Schlossbrunnen ist. 1891 machte die Berliner Bürgerschaft das Werk des Bildhauers Reinhold Begas Kaiser Wilhelm II. zum Geschenk. Die DDR-Stadtgestalter eigneten ihn sich nach der Sprengung des Schlosses kurzerhand an.
Historisch ist die Sache also klar. Der Schlossbrunnen gehört an seinen Platz am Schloss. Trotzdem findet sich in den Unterlagen für die Neugestaltung von Rathausareal und Marx-Engels-Forum die Festlegung: Der Schlossbrunnen bleibt, wo er ist. Quasi als rundes, geerdetes Äquivalent zur Fernsehturmkugel. Die neuen Schlossbetreiber sind überrascht. Hans-Dieter Hegner, Bauvorstand des Humboldt-Forums, bestätigte der Berliner Zeitung, dass die Stiftung Humboldt Forum in keiner Weise von dem Senatsstreich informiert worden war und stellt klar: „Wir sind mit den getroffenen Vorfestlegungen nicht einverstanden.“
Angler mit Bierchen
Durch die Errichtung des Humboldt-Forums mit den historischen Schlossfassaden sei „Geschichte im Stadtraum wieder lesbar geworden“. Zum Kontext des Schlossplatzes gehöre der Schlossbrunnen: „Es ist für uns unverständlich, warum die Senatsverwaltung mit dem Hinweis auf den Denkmalschutz den Brunnen nicht versetzen will. Die Begründung, dass der Brunnen nunmehr ein aufwendiger Marktbrunnen sei, ist nicht wirklich nachvollziehbar“, konstatiert Hegner. Er findet obendrein, dass ohne die starre Haltung zum Brunnen der laufende Freiraum-Wettbewerb flexibler würde. Dann eröffneten sich Chancen, „eine wirkliche Verbesserung des Rathausareals zu erreichen“. Nicht zu fassen, aber Berliner Realität: Der Senat redet nicht mit dem wichtigsten Akteur in der Alten Mitte, dem Humboldt-Forum, das jährlich Hunderttausende Gäste anziehen wird.
Apropos Ideen für die Alte Mitte: Da fällt einem doch die riesige Wasserlandschaft ein – zehn Hektar See zwischen Fernsehturm, Schloss, Rathaus und Marienkirche – mit Schiffsanleger, Treppen zum Wasser und allem Pipapo, die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher 2009 als einen Wettbewerbsvorschlag aus dem Architektenbüro Chipperfield, Graft und Kiefer vorstellte. Dieser Entwurf versenkte alle Vergangenheiten aus sämtlichen Ideologie-Epochen, samt der arisierten Grundstücke aus jüdischem Besitz. Diese nasse Mitte hätte niemandem gehört außer den Wolken, die sich darin spiegeln. Ende der Debatte. Ein Reich für Neptun – bloß ohne Brunnen. Wahrscheinlich hätten sich Angler mit Bierchen eingefunden.