Berliner Morgenpost vom 22.04.2021 von Isabell Jürgens
Es sind durchweg schöne Bilder, die die Wettbewerbsteilnehmer entworfen haben. Sie zeigen blühende Wiesen, Teiche, heimelige Kiezcafés, Boule-Bahnen, planschende Kinder, Veranstaltungsbühnen und vieles mehr unter üppigen Bäumen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat am Donnerstagnachmittag zu einem „Bürgertag“ eingeladen und erstmals die 21 ausgewählten Arbeiten der ersten Phase des Wettbewerbs „Freiraumgestaltung Rathaus- und Marx-Engels-Forum Berlin Mitte“ vorgestellt. Doch was nach viel Bürgernähe und wenig Konflikt klingt, hat einen Schönheitsfehler:
Die Grünvisionen sollen dort entstehen, wo einst das Herz der Berliner Altstadt schlug.
Auf dem Areal standen einst 174 Bürgerhäuser
Dass seine Nachfolgerin im Amt, Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, überhaupt eine „Freiraumgestaltung“ für den durch die DDR-Regierung abgeräumten Gründungsort Berlins ausgeschrieben hat, empfindet etwa der frühere Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann „beinahe als Realsatire“: „Die Ausschreibung klingt ja, als ob es sich um irgendeine Grünanlage für Hellersdorf oder Kleinmachnow handelt und nicht um das Zentrum der Hauptstadt“, kritisierte Hans Stimmann jüngst in der Berliner Morgenpost.
Tatsächlich findet der Wettbewerb auf dem „Leichentuch der Altstadt“ statt, wie der Stadtforscher Benedikt Goebel, Sprecher der Planungsgruppe Stadtkern zugespitzt formuliert. Der Kurator etlicher Ausstellungen, darunter „ Berlins vergessene Mitte“ und „Geraubte Mitte“ für die Stiftung Stadtmuseum erinnert daran, dass anstelle der Freiflächen auf dem 18 Hektar großen Areal einst 174 Wohn- und Geschäftshäuser vornehmlich jüdischer Eigentümer und Bewohner abgerissen wurden. „Direkt unter der Grasnarbe befinden sich noch die Kellermauern der Altstadthäuser“, so Goebel. Durch die Freiraumplanungen würden diese nun endgültig vernichtet, kritisiert er.
Entwürfe sehen tiefgreifende Veränderungen vor
Und tatsächlich sehen viele der am Donnerstag zwischen 14 und 22 Uhr zu besichtigenden Entwürfe tiefgreifende Veränderungen vor. Diese hätte die Berliner Morgenpost an dieser Stelle gerne gezeigt – doch der Abdruck der Bilder war, weil es sich um ein anonymes Vergabeverfahren handelt, ausdrücklich verboten.
Unter den 21 Vorschlägen, so schreibt Senatsbaudirektorin Lüscher in ihrem Vorwort zur digitalen Präsentation, können die Teilnehmer der Veranstaltung über die Kommentarfunktion „Einfluss auf das Ergebnis der 2. Wettbewerbsphase nehmen“. Allerdings, so die Aufforderung, solle man sich mit seinen Anmerkungen an den zehn Bürgerleitlinien orientieren. Und diese sehen unter anderem vor, dass die Sichtachse zwischen Fernsehturm und Spree frei bleiben, ein grüner Ort für Erholung, das Stadtklima und für experimentelle Kunstformen sein soll. Zudem soll die Geschichte der Berliner Mitte durch „abwechslungsreiche Erinnerungselemente“ erlebbar gemacht werden.
Sumpflandschaft mit Holzstegen statt Altstadt
An die Vorgaben der sogenannten Bürgerleitlinien haben sich die Wettbewerbsteilnehmer im Wesentlichen gehalten. So gibt es gleich mehrere Vorschläge, nach denen das heutige Marx-Engels-Forum quasi als klimagerechtes Regenwassersammelbecken fungieren soll - im Sinne einer „Sponge City Berlin “, einer Schwammstadt, wie auch einer der Beiträge übertitelt ist. Über den so entstandenen Sumpf sollen die Passanten dann über Holzstege geleitet werden. Andere Entwürfe lassen gleich einen ganzen Stadtwald mit neuen, hitzeresistenten Baumsorten wuchern, den „Wald der Republik“, so der Vorschlag eines weiteren Entwurfsverfassers. Wieder andere Entwürfe setzen eher spielerisch-sportliche Akzente.
Im Sinne des „urban sports“ sind etwa auf Höhe der Rathauspassagen Beachvolleyballfelder, Trampolin-Spielecken oder Skater-Skulpturen vorgeschlagen. Aus dem Marx-Engels-Forum soll eine „multifunktionale Bühnensituation“ in einer abgesenkten Wiesenmulde werden. Und geschwommen werden soll nicht nur im ob seiner enormen Kosten ebenfalls umstrittenen Flussbad Berlin im Spreekanal, sondern auch in der Spree auf der anderen Seite des Humboldt Forums.
„Das, was der Wettbewerb leisten soll, kann höchstens eine Zwischenlösung sein“, fordert Tobias Nöfer, Berliner Architekt und Vorstand des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin (AIV). Die Strategie, Berlins Mitte lediglich als Grünfläche zu gestalten, sei fragwürdig und erinnere an den Wettbewerb zur Freiraumgestaltung für das Kulturforum in Tiergarten: Diese seien nun durch den Neubau des Museums der Moderne schon wieder überholt.