Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe über grüne Turmbauten und neue Bäume am Alexanderplatz – und wie der Bezirk die Mobilitätswende plant.
Der Tagesspiegel vom 29.04.2021 von Ralf Schönball

Herr Gothe, der Alexanderplatz ist bald wieder eine einzige große Baustelle. Zurzeit sind gleich mehrere Projekte in Bau oder stehen kurz davor. Die Firma Covivio baut einen Zwillingsturm. In der ersten Simulation leuchtete er noch hell und freundlich, jetzt wirkt er wie der schwarze Turm. Wieder so ein Planungsgau ?

Nein, die ersten sieben Geschosse des Sockelgebäudes sind hell gestaltet. Der Schlitz in der Mitte der beiden Türme wird das Gebäude visuell aufgliedern, die Doppelstruktur finde ich gelungen. Und an den beiden Türmen wurde gefeilt. Die haben jetzt eine Gitterstruktur mit Solarelementen. Bevor gebaut wird, wird ein Eins-zu-eins-Modell eines Fassadenelements aufgebaut in verschiedenen Varianten, so wie beim Neubau am Leipziger Platz. Da können wir nochmal den Stein und die farblichen Nuancen feinjustieren. Da wird sogar mit der Gießkanne nochmal Wasser über die Elemente gegossen, um zu sehen, wie sie bei Regen aussehen.

Das sind die Lehren aus der Vergangenheit, wo am Bahnhof Friedrichstraße ein dunkler Moloch entstand?
Ja, am Bahnhof Friedrichstraße hat man sich verschätzt. Gedacht war eine Fassade, die champagnerartig perlend wirken sollte – und dann sah es finster aus, als sie gebaut war. Und gut, am Alex hat mir die Farbigkeit der ersten Variante auch besser gefallen.

Und wie ist der Baustadtrat sonst mit dem Projekt zufrieden?
Das Haus der Architekten Sauerbruch &Hutton ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Es entstehen 570 Fahrradstellplätze, die mit Liften im ersten Untergeschoss gut erreicht werden können. Außerdem entsteht ein Retentionsdach, das alle leichten Niederschläge vollständig auffängt. Bei Starkregen fließt das Wasser in eine Zisterne im Keller und wird danach langsam in die Mischkanalisation abgegeben. Dadurch werden die Kanäle seltener überfließen und mit Schmutzwasser die Spree belasten. Auch schafft der Investor eine Kita im Turm, als Freifläche dient ein Teil des Daches vom Sockelgebäude. Im Erdgeschoss entstehen kleinere Einheiten für Cafes und Restaurants mit Tischen und Stühlen zum Platz hin. Die neue öffentliche Passage an der östlichen Seite wird eine „grüne Visitenkarte“.

Kaufhaus-Multi René Benko plant ebenfalls einen Turm direkt am Platz, wann geht es los?
Ja, die Firma Signa baut am Kaufhof. Die Genehmigung ist so gut wie erteilt, einen Bauvorbescheid gibt es schon. Ein Städtebaulicher Vertrag wird dazukommen. Auf dem Dach des Warenhauses, an der Kante zum Alexanderplatz, soll es eine Dachterrasse mit Gastronomie geben und auch Flächen, wo man ohne zu konsumieren auf den Alex runterschauen kann. Im Erdgeschoss entstehen an drei Seiten kleine Läden, die direkt betreten werden können. Ein Teil der Läden soll gemeinsam mit der Stadt kuratiert werden. Denkbar ist eine Touristen-Information von Visit Berlin oder Geschäfte, die sich hohe Mieten nicht leisten können. Ein Zeitungsladen oder Obst und Gemüse aus Brandenburg, also Dinge des täglichen Bedarfs.

Gibt es auch Platz für gemeinwohlorientierte Nutzungen?
Auch das ist im Gespräch. Ein kleiner Anteil wird für einen günstigen Mietpreis gemeinwohlorientierten Dienstleistern zum Beispiel für Fortbildungsangebote zur Verfügung gestellt.

Der US-amerikanische Stararchitekt Frank Gehry hat an der östlichen Kante des Platzes hinter dem Elektronik-Markt einen Turm geplant mit der Anmutung aufeinander gestapelter, goldgelber Klötzchen. Wann geht der in Bau?
Das ist nach wie vor unklar. Die Gefahr, dass die unter dem Grundstück liegende U-Bahn-Linie 5 absinkt, ist gebannt. Warum es dort nicht losgeht, ist mir nicht bekannt. Dann gibt es außerdem das Hochhaus an der Alexa-Shopping-Mall, den „ABC-Tower“. Es ist eine technische Meisterleistung, ein Hochhaus auf dieser kleinen Fläche in die Höhe zu bringen. Hier entstehen im wesentlichen Wohnungen, in allen Größen.

Sind Sie mit der Entwicklung des Alexanderplatzes insgesamt zufrieden?
Nein, die Megathemen Klimaanpassung und Mobilitätswende warten hier auf ihre Umsetzung! Der Platz ist umtost von einem höllischen Auto-Verkehr , der gebändigt werden muss. Unter den Linden und Karl-Liebknecht-Straße müssen zugunsten von Fuß- und Radverkehr vollständig vom Durchgangsverkehr befreit werden. Auch am Kaufhof muss etwas passieren, damit man nicht das Gefühl hat, man wird überfahren, wenn man aus dem Laden rauskommt. Wir müssen zusammen mit den Anrainern, mit dem Betreiber der dreigeschossigen Tiefgarage unter der Alexanderstraße verhandeln, die obere Etage komplett zu einer Fahrradetage zu machen. Die Anbieter von Büroflächen, die dort bauen, berichten vom Sinneswandel ihrer Angestellten. Sie bieten etwa beim „JaHo“-Projekt an der Jannowitzbrücke überhaupt keine Parkplätze mehr in der Tiefgarage an, weil die Nutzer aufs Rad umsteigen. Das ist auch der Trend in Paris oder London. Dieser Trend ist nicht mehr aufzuhalten und ermöglicht eine Mobilitätswende in den kommenden zehn Jahren.

Dazu müsste man den Durchgangs- und Pendlerverkehr aus dem Zentrum verbannen …
Genau, der muss weg aus der Innenstadt. Der Ausbau von Regionalbahn und S-Bahn wird immer dringender. Zum Glück läuft das im Berlin -Brandenburger Projekt „i2030“ an. Bahnsteige werden verlängert, damit längere Züge eingesetzt werden können. Der Takt der Regionalbahn wird von zwei auf drei Mal pro Stunde verkürzt. Und wir müssen die öffentlichen Verkehrsflächen so umbauen, dass Fußgänger und Radfahrer profitierten und dem Auto weniger Platz bleibt. Es gab die Ansage des Senats, ab 2030 nur noch Elektroautos in den S-Bahn-Ring einfahren zu lassen. Leider haben die Linken das „Jahr 2030“ aus dem Beschluss streichen lassen. Das muss die nächste Koalition nach der Wahl am 26. September korrigieren. Der Zeitplan muss früh verkündet werden, damit die Pendler sich beim Kauf eines neuen Autos darauf einstellen können.

Auch von einer „Klimaanpassung“ ist die Rede am Alex. Was ist damit gemeint?
Als Kontrapunkt zur Hochhausbebauung am Alex sollen die Freiflächen zwischen Fernsehturm und Humboldtforum grüner werden und zur Kontemplation einladen. Der laufende Wettbewerb hierzu hat in der Phase 1 gerade aus 54 eingereichten Arbeiten etwa die Hälfte für eine Vertiefungsphase bestimmt. Diese Arbeiten wurden letzte Woche öffentlich vorgestellt. Viele Planungsteams sehen für die Spandauer Straße und die Karl-Liebknecht-Straße eine vollständige Verkehrsberuhigung und viele neue Bäume vor.

In der Spree an der Museumsinsel plant ein Verein, unterstützt vom Senat, ein „ Flussbad “. An dem Vorhaben gibt es massive Kritik. Es sei nicht durchdacht, zerstöre die Umwelt und passe nicht in das von Kultur geprägte Quartier.
Wie bewerten Sie das Projekt?

Ich befürworte es stark. Es ist schlimm, wie das verunglimpft wird. Die dreistelligen Millionenbeträge, die es kosten soll, sind frei erfunden. Das Flussbad kann eine ungeheure Strahlkraft haben, falls wirklich eine badefähige Wasserqualität durch die Pflanzenkläranlage in der Spree entsteht. Verständnis habe ich für die Sorge, dass Heerscharen mit ihren Liegestühlen einfallen und die Museumsinsel in eine Strandbar verwandeln. Hier muss sorgfältig der Charakter der Bademöglichkeiten austariert werden.

Und der Klimaschaden durch die Tonnen von Beton, die in die Spree gekippt werden müssen?
Da muss man über andere wasserbauliche Lösungen nachdenken. Es gibt die Idee, das Gewässer im Oberlauf der Schwimmstrecke der Länge nach zu teilen. Auf der einen Seite würde eine pflanzliche Kläranlage für das normal fließende Gewässer entstehen, auf der anderen Seite könnte das Wasser bei Hochwassersituationen durchrauschen. Die drei unterirdischen Betonröhren wären dann überflüssig. Das wäre auch wesentlich preiswerter.

Das Interview führte Ralf Schönball.

Ephraim Gothe (57) ist SPD-Politiker und seit 2017 Baustadtrat im Bezirk Mitte.

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