Brief/Mail an den Senat von Berlin

Berlin, 10.Dezember 2019

Betrifft: Projekt Flussbad, ein Steuergeld vernichtendes Vorhaben - ohne Gewähr
auch eine Antwort auf die Pressemitteilung vom 10.12.2019

Sehr geehrte Frau Senatorin Günther,
Sehr geehrte Frau Senatorin Lompscher,
Sehr geehrte Damen und Herren des Abgeordnetenhauses Berlin, Ressort: Umwelt,

zunächst wollte ich als Naturwissenschaftlerin dieses Projekt Kanalbad nur kritisch beleuchten. Nun frage ich mich seit der Pressemitteilung von heute ernsthaft: „Wer sind die fachkundigen Berater der hierfür Verantwortlichen?“ Warum initiieren wir die zahlreichen, kostenintensiven, langfristigen Forschungen zum Zustand unserer Flüsse, der Wasserqualität an vielen Orten, zu Reinigungsverfahren, etc. wenn die Berater Sie als Politiker weiterhin in dem verklärten, schwärmerischen Zustand von vor Jahren belassen : „Was für ein außergewöhnliches Projekt. Mit Esprit und Geschick ist es den Initiator/innen gelungen, der Stadt eine bestechende Idee zu präsentieren,... eine charmante Idee...“ Diese Worte waren wohl 2017 Initialzündung für einen fraktionsübergreifenden Antrag: „Das Flussbad zum Fließen bringen“.[1]

Dem entgegen stehen Fakten, die seit 2016 bekannt sind: 1. Der Spreekanal ist ein durch ungeklärte Mischkanalisationsüberläufe, Regenabschwemmungen, aber auch durch pathogene Keime, Spurenstoffe etc. belastetes Innenstadtgewässer 2. Es drohen Hochwasser- und Eisschollengefahr, bei Trockenheit Wasserstillstand oder Rückfluss, 3. In den Sedimenten des Bodens werden Kampfmittel und andere Schadstoffe vermutet. (P 1 a-h ) [2]
Die Euphorie von 2017 verstellt offensichtlich den Blick auf die Realität bis heute. Obwohl der Kanal kein Badegewässer ist, wird die Wasserqualität nach einer ergänzungsbedürftigen EU-Badegewässerrichtlinie von 2006/7 beurteilt (P 2 a,b; 3a-c). Durch die Akzeptanz der minimalen Beurteilungskriterien von 2006 haben die mit Flussbad kooperierenden Institutionen in Berlin Forschungsergebnisse zur Wasserhygiene zwischen 2006 bis heute ignoriert. Warnungen und Empfehlungen u.a. aus dem Deutschen Bundestag, aus Forschungsgemeinschaften und der Presse bezüglich der Gesamtproblematik sind offensichtlich im Abgeordnetenhaus Berlin verhallt.

Der Verein Flussbad schlägt zur teilweisen Problemlösung dezidiert Millionen verschlingende Einbauten vor (P 4 a-j), deren Umsetzung von Bauingenieuren sehr in Zweifel gesetzt wird. Das Gesamte soll auf einem Boden entstehen, der erst in 40 m Tiefe die genügende Festigkeit für schwere Kanaleinbauten aufweist (P 4d). Erfahrungen mit diesem Dilemma liegen bei allen Bauten im Ursprungstal der Spree vor und werden sich auch hier, wie auch bei der Wippe zeigen. Notwendige Wartungskosten für Filter, technische Einbauten, Pflege wurden bisher nicht aufgelistet.

Weiterhin dürfen Sie nicht übersehen, dass keine der getesteten Filteranlagen, allein schon durch Kolmation, die notwendige Leistung erbracht, der Muschelreaktor versagt hat. Ferner hat der hohe Nährstoffgehalt im Wasser 2018/9 von Juli an ein großes Algenwachstum bewirkt. Mindestens 60 Prozent der Algen davon waren stark toxinbildende Cyanobakterien. Ein Badeverbot über die Hälfte der Badesaison wäre Folge gewesen. Ebenso sind antibiotika-resistente Keime nachgewiesen worden (P 3d). Wollen Sie, Frau Lompscher, Sie als Abgeordnete/r, wirklich vor all diesen aufgeführten Fakten, den vielen maßgeblich kritischen Stimmen, den Widerständen weiterhin die Augen verschließen und sich der schönen Illusion hingeben, ein naturnaher Pflanzen-Kiesfilter wird es schon richten?

Im Koalitionsvertrag 2016 plädieren Sie für ein Spreebad flussaufwärts, s. auch Projekt „Flusshygiene“ (P 5). Nach dort genannten Auswahlkriterien entfiele ohnehin der Standort:Spreekanal. Die meisten der im Spreekanal notwendigen Baumaßnahmen entfielen flussaufwärts, nicht jedoch ihre Pflicht zur Nachrüstung von Kläranlagen, zur Minimierung von gesundheitsgefährdenden Einträgen etc.

Warum geben Sie dem Spreekanal nicht die ureigenste Aufgabe, die Schiffbarkeit, durch Rekonstruktion der kleinen Schleuse für kleine Boote, wieder? Das ohnehin neu zu errichtende Wehr an der ESMT könnte durch Generatoren den Strom für die Schleuse und das Umfeld erzeugen. Mit diesem Senatsbeschluss vom 10.12.19 haben Sie ausgeblendet, auf welches unkalkulierbare Projekt Sie sich mit dem Kanalbad einlassen und mit welcher unsachgemäßen Ausgabe von Steuergeldern Sie die Bevölkerung konfrontieren müssen! Den Akt der Kostenoffenbarung haben Sie aus gutem Grund noch nicht vollzogen. Er würde auch bei den Befürwortern Entsetzen auslösen, zumal die Lösung durch den Verein Flussbad und durch die Ergebnisse in den Endberichten nicht in Sicht ist und auch nicht erfolgen kann (s. Anhang). Das Land Berlin müsste gewaltige Vorarbeiten leisten. Das wäre ein immenser Kostenfaktor, den wir durch Umverteilung alle zu leisten hätten.

Mit freundlichem Gruß

Dr. Heide Ellerbrock